Historisches

Paradeis-, Christgeburt- und Dreikönig-Spiel

In den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts hatte der österreichische Germanist Karl Julius Schröer die Weihnachtspiele in dem abgelegenen Orte Oberufer auf einer Donauinsel bei Pressburg kennen gelernt. Diese Spiele waren von ihm 1858 in dem Buche „Deutsche Weihnachtspiele aus Ungern“ geschildert und mitgeteilt worden.

Das Oberuferer Paradeis-, Christgeburt- und Dreikönig-Spiel geht auf Haidbauern zurück , deutsche Kolonisten aus dem Bodensee-Raum, die im 16. oder zu Anfang des 17. Jahrhunderts in diese damals gänzlich protestantische Gegend einwanderten. Einzelne Quellen der Spiele lassen sich bis Hans Sachs zurückverfolgen. Bis heute gibt es in Ungarn auf solche Weise entstandene Sprachinseln. Das dort gesprochene „Donauschwabendeutsch“ ist für uns gerade noch zu verstehen. Die Bewohner dieser Sprachinsel haben ihre Stücke jedes Jahr um die Weihnachtszeit in alter Weise wieder aufgeführt. Die Sprache der Spiele konnte sich so – über die Jahrhunderte kaum verändert – erhalten. Die Bilder der Spiele sind aber so allgemeingültig, dass sie auch ohne Kenntnis der deutschen Sprache aufgefasst werden können und ihr Inhalt verstanden wird. Es sind in ihnen Perlen des deutschen Volksschauspieles aus einer Zeit vor der Entstehung des modernen Theaters.

Karl Julius Schröer erzählt in seinem Bericht von den Spielen:
„Die Spiele dauern vom ersten Advent bis Heilige Dreikönige. Die Stücke werden von einer angesehenen Familie des Ortes bewahrt und als heiliges Gut von Generation auf Generation übergeben. Das älteste Familienmitglied war der Lehrmeister. Er suchte sich jedes Jahr, wenn die Weinlese vorüber war, aus den Burschen des Ortes diejenigen aus, die er als Spieler für geeignet hielt. Ihnen brachte er das Spiel bei und sie mussten sich während der Lehrzeit eines Lebenswandels befleißigen, der dem Ernst der Sache angemessen war. Sie mussten sich treulich allem fügen, was der Lehrmeister verordnete. Wenn die Zeit zum Einüben gekommen war, wurde abgeschrieben, gelernt, gesungen; Tag und Nacht. An allen Sonn- und Feiertagen wird gespielt; jeden Mittwoch ist eine Aufführung zur Übung. Im Dorf wurde dann keine Musik geduldet. An den übrigen Werktagen ziehen die Spieler über Land auf benachbarte Dörfer, wo dann gespielt wird. Wenn die Spieler über Land gingen, um in einem benachbarten Ort zu spielen, und es war Musik da, zogen sie weiter. (Als man ihnen zu Ehren in einem Orte einmal die Dorfmusikanten aufspielen ließ, fragten sie entrüstet: ob man sie für Komödianten halte?)“.

„Die konfessionelle Zugehörigkeit bildet keine Grenze für die Beteiligung, Katholiken und Protestanten nahmen gleichen Anteil bei der Darstellung, wie auch auf den Zuschauerplätzen.“

Schröer schreibt weiter: „Seit 1827 war das Spiel im Besitz eines Bauern. Er hatte schon als Knabe den Engel Gabriel gespielt, dann von seinem Vater, der damals Lehrmeister der Spiele war, das Spiel geerbt. Von ihm hatte er auch die Schriften, die auf Kosten der Spieler angeschaffte und Instand gehaltene Kleidung und andere Requisiten geerbt. Spieler wie Zuschauer trugen in den Ort der Aufführung, meist das Wirtshaus, die herzlichste Weihnachtsstimmung hinein. Und diese Stimmung wurzelt in ihrer frommen Hingebung an die Weihnachts-Wahrheit. Im Stück wechseln Szenen, die zur edelsten Erbauung hinreißen, mit derben, spaßhaften. Diese tun dem Ernst des Ganzen jedoch keinen Abbruch. Sie sind nur ein Beweis dafür, dass die Spiele aus einer Zeit stammen, in der Frömmigkeit des Volkes so im Gemüte festgewurzelt war, dass sie neben naiver volkstümlicher Heiterkeit einhergehen konnte. Es tat zum Beispiel der frommen Liebe, in der das Herz an das Jesuskind hingegeben war, keinen Abbruch, wenn neben der wunderbar zart gezeichneten Jungfrau ein etwas tölpischer Joseph hingestellt wurde, oder wenn der innig charakterisierten Opferung der Hirten eine derbe Unterhaltung mit drolligen Späßen voranging“.

Die Autoren der Spiele wussten, dass der Kontrast von Derbheit und inniger Erbauung beim Volke nicht herabstimmte, sondern erhöhte. Man kann diese Kunst bewundern, die aus dem Lachen heraus eine Stimmung frommster Rührung holt und gerade dadurch die unehrliche Sentimentalität fernhält. Etwas charakteristisches dieser Spiele war auch, dass die Spieler, bevor sie den Inhalt des Dargestellten vorführten, schon als ein Art Chor vor ihre Zuschauer traten. Ein Element, das den Fortgang der Handlung unterbrechend, an einzelnen Stellen des Stückes wieder vorkommt. Im überlieferten Sternengesang, welcher der Darstellung des Christgeburt-Spieles voranging, ist ein Einleitungschor erhalten, in dem die Spieler alles begrüßen, zu dem sie sich, bevor sie mit der Darstellung beginnen, in ein herzliches Verhältnis setzen möchten. Sie grüßen alles, was ihnen in dem für sie wichtigen Augenblick seelisch nahe liegt: Von der heiligen Dreifaltigkeit und den einzelnen Kategorien der Zuschauer bis zu dem Hölzlein ihres Sternes, den der Sternsinger trägt.